Eine möglichst schnelle Verbindung

46 47 Schaulustige Die Menschen schien die Hitze nicht zu stören. Für ihren Kaiser und zum friedlichen Kriegsspektakel waren die „Schlachtenbummler“ zu Tausenden nach Röhrmoos gekommen. Seit Wochen gaben die Zeitungen Tipps zur besten Beobachtung der Waffenhandlungen: „Es emp- fiehlt sich, hinter den Truppen zum Manöver anzumar- schieren (...), es wird damit nichts versäumt werden“, riet der Amper-Bote. „In der Nähe des Manövers kann nie- mand auf Unterkunft hoffen, da der letzte Winkel mit Ein- quartierung belegt ist.“ Die Münchner Neuesten Nach- richten berichteten: „Schon von drei Uhr früh an brachten Sonderzüge (...) viele Hunderte von Neugierigen nach Röhrmoos.“ Feldstecher waren der Verkaufsschlager. Das Dachauer Textilgeschäft Trinkgeld hoffte gar, „Bett- decken, Bettücher und Strohsackzeug zum Manöver“ abzusetzen. Das Schauspiel, das die beiden Armee- korps in Angriffsübungen lieferten, der Beobachtungs- ballon über Schönbrunn und der kaiserliche Prunk faszi- nierten die Besucher und ließen sie über Makel am Glanz hinwegsehen. So fragte niemand nach den merk- würdigen Gräben, die ausgehoben wurden, damit die Hoheiten leichter aufs Pferd steigen konnten. “Nicht im geringsten war zu bemerken, dass allenfalls der Kaiser schwer aufgestiegen wäre“, konstatierte das oben genannte Münchner Nachrichtenblatt. Dass Wil- helm wegen eines verkrüppelten linken Armes Schwie- rigkeiten beim Aufsitzen hatte, durfte natürlich nicht pub- lik werden. Statt dessen war man stolz auf des Kaisers Worte an den Prinzregenten: „Ich beglückwünsche Dich zu dieser Armee!“ Der nackerte Kaiser Als der Kaiser während des Manövers im Gasthof Hagn wohnte, soll sich in der Tür zu seinem Schlafgemach ein Astloch befunden haben. Eine Magd, die beim Hagn Dienst tat, hat es sich nicht verkneifen können, den ge- liebten Kaiser ganz nah und allein zu betrachten. Doch als sie heimlich und in einem unbeobachteten Moment durch das Astloch blickte, schreckte sie mit einem unter- drückten Schrei jäh zurück. Sie hatte nämlich just in dem Augenblick durchs Astloch gelurt, als sich der Kaiser ge- rade entkleidet hatte und splitternackt im Zimmer stand. Etwas enttäuscht erzählte sie – im Vertrauen – ihrer Freundin, daß der Kaiser eigentlich ganz genauso aus- sah, wie ein ganz normales Mannsbild! Diese Geschichte wußte die Röhrmooser Bürgerin Maria Katzl zu erzählen. Am Mittag des 11. September war der Kaiser-Zauber für Röhrmoos vorbei. Wilhelm fuhr im Sonderzug von Röhr- moos aus in den Urlaub. Noch einige Tage lang schwelg- ten die Gazetten in der Erinnerung an die ruhmreichen Kaisertage, die „wir als unverlierbares Gut auch in trüben Tagen hochhalten wollen“, so die Münchner Neuesten Nachrichten. Allein der Amper-Bote urteilte weitblickend: „Von den verschiedensten Augenzeugen ist das gerade- zu unheimliche Gefühl in gleicher Weise constatiert wor- den, das den Zuschauer in Hinblick auf die Wirkung der heurigen Waffen im Ernstfalle (...) namentlich die durch das rauchschwache Pulver geschaffene Möglichkeit des Schützen, sicher zu zielen, beschleicht.“ Und weiter: „Darum wird die Ernte grauenhaft sein, welche der Tod in zukünftigen Kriegen hält“. n Johannn Thaler, der Großvater des Verfassers, bekam 1923 eine Festanstellung bei der Eisenbahn in Röhrmoos. Er war darüber sehr erfreut, denn nun hatte er für seine zwölfköpfige Familie (die Eltern, neun Kinder und ein Neffe) ein festes Einkommen. Zuvor verdiente er den Unterhalt für seine große Familie als „Taglöhner“ bei örtlichen Bauern und als Gelegenheitsarbeiter bei der Bahn, wenn diese ge- rade mal Gleisarbeiten im Bereich Röhrmoos ausführte. Nach der Festanstellung war er zunächst noch einige Jahre als Streckenarbeiter im Einsatz, dann bekam er die Anstel- lung als „Weichenstellwärter“. Seine Arbeitsstelle war das Weichenstellwerk in der Nähe der damaligen BayWa, ca. 400 Meter südlich vom einstigen Bahnhof. Dieses Gebäude wurde von den Eisenbahnern als „Turm“ bezeichnet. Diese Arbeit versah er bis Juni 1945. Dann ging er, inzwi- schen zum Beamten befördert, in Pension. Als Eisenbah- ner bekam er an der heutigen Schillhofener Straße bald ein kleines Wiesengrundstück von der Bahn. Nun konnte er sich vier bis fünf „Eisenbahnerkühe“ (Ziegen) halten. Er war „Eisenbahner“ mit Leib und Seele, aber eine Tätig- keit an seinem Arbeitsplatz versah er ungern. In der Anstalt Schönbrunn, heute Franziskuswerk, lebten damals mehr behinderte Heiminsassen als heute. Zudem waren in Schönbrunn gegen Kriegsende ein aus Mün- chen ausgelagertes Krankenhaus und ein Wehrmachts- lazarett untergebracht. So manche in diesen Einrichtungen verstorbenen Personen wurden in ihren Herkunftsort zur Bestattung überführt. Lei- chenautos gab es damals kaum und es fehlte für solche Fahrzeuge auch oft der Treibstoff. So wurden die zu über- führenden Verstorbenen im Güterwaggon transportiert. Die Särge mit den Verstorbenen wurden in der Regel am spä- ten Nachmittag, häufig aber erst am Abend eingeladen. Zur Aufgabe des „Weichenwärters“ gehörte es, den je- weils beladenen Güterwaggon zu versiegeln (plombie- ren). Vor der Anbringung der Plombe musste der Bahn- bedienstete aber das Schiebetor des Wagons nochmals öffnen und sich überzeugen, ob der Sarg auch drinnen war. Vor allem in der Winterzeit fiel diese Arbeit meistens in der Dunkelheit an. Sie war bei dem jeweils dienstha- benden Weichenwärter, so auch bei meinem Großvater, eine sehr unbeliebte Aufgabe. Gearbeitet wurde damals in zwei Schichten zu je zwölf Stunden, beginnend um 6.00 Uhr morgens oder 18.00 Uhr abends. Wenn es irgendwie ging, dann hat Großva- ter seinem „Ablöser“ um 18.00 Uhr abends erzählt: „Da ist jetzt vor kurzer Zeit ein Sarg eingeladen worden, der Waggon muss noch versiegelt werden.“ n AUS DEM LEBEN EINES EISENBAHNERS – DIE UNGELIEBTE AUFGABE MEINES GROSSVATERS von Franz Thaler Das Stellwerk „Turm“ bei der Baywa in Röhrmoos mit dem Großvater des Autors Johann Thaler (2.v.r.)

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