Eine möglichst schnelle Verbindung

42 43 Dass die „gute alte Zeit“ auch im Zeitalter der Königlich Bayerischen Eisenbahn alles andere als gemütlich und risikolos war, belegen Meldungen über ein Eisenbahnun- glück, das sich im Juli 1889 bei Röhrmoos ereignet hat- te. Es prallten dort ein Schnellzug und ein Personenzug aufeinander, beide Züge entgleisten und hinterließen ein Bild der Verwüstung. Die Ursache dafür war, dass der Weichenwärter vergessen hatte, die Weiche zum Sack- gleis zu schließen. 1 Neun Passagiere konnten nurmehr tot geborgen werden, zahlreiche wurden verletzt. Viele der Betroffenen waren auf dem Weg zur Primiz des Am- permochinger Lehrersohnes Ludwig Merk. Da die Toten kaum äußere Verletzungen aufwiesen, vermutete Be- zirksarzt Dr. Heinrich Engert, der mit dem Pferdefuhr- werk zur Unfallstelle geeilt war, „sofortige Gehirnläh- mung“ als Todesursache. Um künftige Unfälle zu vermeiden, wurde unter anderem in der Presse gefordert: „In der Eisenbahnwelt ist es eine längst anerkannte Thatsache, daß es nur ein Mittel hiezu gibt: „die centrale Weichen= und Signalstellung.“ (...) Dieselbe ist zu solcher Vollendung gelangt, daß dadurch jede falsche Weichenstellung vollständig ausgeschlos- sen ist. Sie gipfelt in der Hauptsache darin, daß Weichen und Signale in einem Abhängigkeitsverhältnis sich befin- den, und ein Signal erst dann gezogen werden kann, wenn die hiezu gehörige Weiche richtig steht.“ 2 Der Unfall schien den zahlreichen Kriti- kern Recht zu geben, die in der neuen Eisenbahntechnik unübersehbare Risi- ken für Passagiere und Anwohner sehen wollten. So gab es medizinische Gutach- ten, die behaupteten, der Mensch würde bei Geschwindigkeiten über 30 km/h in den Wahnsinn getrieben. Andere fürchte- ten, ihre Milchkühe würden beim Anblick der vorüberfahrenden Dampfrösser un- fruchtbar. 1877 legten Unbekannte bei Petershausen gar Hopfenstangen über die Eisenbahntrasse und verursachten mehrere Notbremsungen. Tatsächlich kam es in den Anfangsjahren der Eisen- bahn auch im Bezirk Dachau zu einer Reihe von Unfällen. Pferde scheuten, Kühe wurden gerammt und nicht selten stand in der Presse zu lesen, dass wie- DER TEUFEL UND DIE EISENBAHN von Franz Schaehle Das neue Verkehrsmittel, das Rauch und Feuer spuckte, war den Röhrmooser Bauern damals nicht ganz geheuer, wie auch eine überlieferte Sage aus dem Gemeindege- biet deutlich macht: „Besonders hübsch ist es, dass der Teufel auch den mo- dernen Verkehrsmitteln nicht aus dem Wege geht. So lässt er in der dunklen Nacht feuerspeiende Dampfloko- motiven mit ihren Waggons durch das Röhrmooser Ge- meindegebiet keuchen! Wer da unerschrocken bleibt, dem schenkt der Teufel bisweilen einen Sack voll Gold. Nur wer ausreißt, den holt er sich! Glaubten doch die alten Röhrmooser allen Ernstes, im Kessel der Lokomotive sit- ze der Leibhaftige und nur die Quaste seines Schwanzes rage unten heraus. Auf diesem trete der Heizer im Takt, während der Teufel selbst durch sein zischendes, damp- fendes Pusten den Zug in Bewegung setze!“ n Quelle: Studienrat a.D. Franz Schaehle, Dachauer Aberglaube. In: Altheimatland vom 13. März 1927, Nr.50, 3.Jg., Seite 199. der ein Passagier aus Unachtsamkeit aus einem der Wag- gons gefallen war. Trotz allem ließ sich der Siegeszug der neuen Technik nicht aufhalten. Nachdem 1867 die Linie München-Ingol- stadt mit den Stationen Dachau, Röhrmoos und Pe- tershausen eröffnet worden war, nahm die Beliebtheit des neuen Verkehrsmittels dermaßen zu, dass man bereits 1889 zwei weitere Stationen – Walpertshofen und Ester- hofen – errichtete und 1897 ein „Bürger-Comité“ gründete, das sich die Planung der Linie Dachau-Altomünster auf die Fahnen schrieb. Bis der erste Zug aus Dachau allerdings inAltomünster einfuhr, sollten noch sechzehn Jahre verge- hen. Im „Ruepp“ schreibt Ludwig Thoma bissig: „Die Ei- senbahn macht von Schwabhausen einen langen Umweg, um den altberühmten Markt Indersdorf nicht auf der Seite liegen zu lassen. Die Bedeutung des Ortes kommt jedem Fahrgast zum Bewusstsein, wenn der Zug dort dreimal so lange hält, wie auf den kleinen Stationen […]. Endlich trägt der Zug dazu bei, den fernen Markt Altomünster mit der Welt zu verbinden, von der er so lange abgeschieden ge- wesen war!“ Das Zugunglück von Röhrmoos war der Anlass zur Gründung einer freiwilligen Sanitätskolonne, um Verun- glückten und Kranken schnell Hilfe leisten zu können. Die Gründungsmitglieder waren zwölf beherzte und tat- kräftige Dachauer Handwerker und Papierfabrik-Beam- te, darunter der Maurermeister Josef Reischl, der Rot- gerbermeister Xaver Rößler und der Lebzelter Xaver Altherr. Der Buchdruckereibesitzer und Verleger Franz Mondrion wurde zum ersten Kolonnenführer ernannt. Die Erste-Hilfe-Ausbildung der ehrenamtlichen Rotkreuz- ler übernahm der Bezirksarzt Dr. Heinrich Engert. 3 n 1 Allgemeine Zeitung, Montag, 8. Juli 1889 Nr. 187 Morgenblatt : „Nachschrift. Wie verlautet, ist die falsche Weichenstellung darauf zurückzuführen, daß vergessen worden war, die Weiche zum Sackgeleise geschlossen zu halten.“ 2 Allgemeine Zeitung, Freitag, 12. Juli 1889 Nr. 191 Morgenblatt 3 zitiert nach Dachauer Nachrichten vom 23. September 2014, Nr. 219: Das Zugunglück vor 125 Jahren. Todesursache „sofortige Gehirnlähmung“. Das Zugunglück in einem zeitgenössischen Holzstich von G. Franz Zeichnung von Adalbert R. Bartek DIE FALSCHEN WEICHEN GESTELLT: DAS EISENBAHNUNGLÜCK IN RÖHRMOOS 1889 von Norbert Göttler

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