Eine möglichst schnelle Verbindung
20 21 inige der obscursten Gegenden Bayerns – Wie ein Journalist 1867 die Bahnstrecke erlebte von Helmut Gröss E So berichtete die Allgemeine Zeitung München am 14. November 1867: Die Ingolstädter Bahn. Wir haben es vorgezogen, statt mit dem feierlichen Abgeordnetenzug zu dampfen, einen bescheidenen späte- ren Utensilientrain zu benutzen, um die Ingolstädter Bahn genau in Au- genschein zu nehmen. Die Bedeu- tung dieser Linie liegt zwar zunächst darin, daß sie die Hauptfestung des Landes in das Schienennetz zieht; vielleicht noch wichtiger aber ist der Umstand, daß nun auch der „Nabel“ Bayerns von einer Eisenbahn durch- schnitten wird, und daß nach Vollen- dung der Bahn bis Gunzenhausen die alte Handelsstraße von Salzburg nach Frankfurt wiederhergestellt wird; der Verkehr liebt es bekanntlich die alten Hauptstraßen festzuhalten. Ein Hauptvorzug für den Verkehr nach Norden liegt darin, daß der große Um- weg über Augsburg und Nördlingen vermieden wird, was bei den ver- mehrten Beziehungen zum Süden sehr in Anschlag zu bringen ist. Wenn man endlich den Eisenbahnen auch eine culturgeschichtliche Bedeutung beilegt, so durchschneidet diese Bahn einige der obscursten Gegen- den Bayerns, die bis jetzt nicht zu ih- rem Vortheil von der Welt und ihrem Fortschritt ganz abgelegen geblieben waren; von Dachau bis zur Bischofs- stadt Eichstädt ist gar mancher Punkt auf welchem Finsternis und geistiger Stillstand noch mit bedenklicher Schwere lasten. In technischer Beziehung bietet die neue Bahn wenig interessantes dar; das Maximum der Steigung beträgt 1: 200, doch waren sehr viele Durchläs- se und Brücken nöthig, so über den Würm Canal bei Pasing, über die Würm bei Allach, über die Amper bei Dachau, über die Glon bei Petershau- sen (mit zwei Öffnungen à 80 Fuß), über die Ilm, Paar, Brautlach, Sau- drach und das Altwasser bei Ingol- stadt. Die Länge der ganzen Linie be- trägt 21 ¾ Stunden, und enthält folgende Stationen: Allach, Dachau, Röhrmoos, Petershausen, Reicherts- hausen, Pfaffenhofen, Wolnzach, Reichertshofen und Ingolstadt. Der Bau begann im Jahr 1864, und hat sprüchwörtlich gewordene Stockun- gen erlitten, die manchmal ganz be- sonderen Einflüssen zuzuschreiben waren. Die Kosten der Bahn, ein- schließlich die Weiterführung nach Gunzenhausen, sind auf 19 Millionen veranschlagt. Die Bahn ist solid gebaut, was bei dem unsicheren moorigen Terrain sehr in Anschlag zu bringen ist; vor- läufig ist nur ein einziges Schienen- geleise vorhanden, und werden Fahrten mit großer Schnelligkeit bis zur allseitigen Consolidierung des Damms zu vermeiden seyn. Für Bayern ist die Einrichtung neu daß statt der optischen Telegraphen elektrische Glockensignale einge- führt sind, welche einfacher zu hand- haben und den Einflüssen der Witte- rung weniger ausgesetzt sind als die frühern. Die Stationen sind alle groß und auf einen bedeutenden künfti- gen Verkehr berechnet; doch ist bis zur Vollendung derselben noch al- lenthalben viel zu arbeiten. Die Fahrt selbst durch eine trostlose Ebene bietet nichts dar als die erha- bene Melancholie und Langweile ei- ner Moorgegend. Eine einzige Aus- nahme macht nur Dachau, dessen liebliche Lage es wohl zu einem be- liebten Sommerausflug der Münchner machen wird. Wenn nur nicht Dachau das Vaterland jener scheußlichen Fustanellentracht 2 wäre, die den Aes- thetiker wie den Arzt mit gleichem Entsetzen erfüllen muß! In solchen gewaltsam verkrüppelten Körpern kann kein gesunder Geist wohnen, und jede vernünftige Vorstellung wird diesen cretinhaften Gestalten gegen- über vergeblich seyn. Viel freier und geweckter erscheint das Völklein um Pfaffenhofen, und „z’Pfahofa“ selbst und in der Holledau sind die Gestal- ten bekanntlich noch so urwüchsig, daß es einem vor der „Gemüthlich- keit“ dieser Leute manchmal bange werden könnte. Hier tritt zu dem Reiz der Ebene noch die Poesie der Hop- fenstangen, um ein Bild zu schaffen welches zwar keine Befriedigung für das Auge gewährt, aber doch ein Ge- fühl der Befriedigung erweckt über das wohlhäbige Aussehen der Orte, unter denen sich namentlich Rei- chertshofen bemerklich macht. Die Bahn hält ein gutes Stück vor Ingol- stadt, wo fleißig an den Befestigungen gearbeitet wird, welche wahrschein- lich die künftige Eisenbahnbrücke über die Donau beherrschen sollen. Ingolstadt selbst ist immer die alte Soldatenstadt, und wer kein großer Freund von militärischen Spielereien und von fortwährendem Verkehr mit dem „ersten Stand der Welt“ ist, der wird sich in Ingolstadt immer königlich langweilen. Bei meinem dießmaligen Besuch machten mir jedoch die ab- normen Ordonanzmützen viel Spaß, welche ein ausgebildeter Sinn für das „Erhabene“ beim zehnten Regiment durchgängig eingeführt hat. Ein sehr lebendiges Bild gewährte die Abfahrt von Ingolstadt; denn auf diesen Pro- befahrten kann in dritter Classe und Packwagen umsonst mitfahren was da Platz findet, und diese Gelegen- heit wollte das biedere Landvolk mas- senhaft benützen. Es war gerade Martinitag und Montag dazu, so daß selbverständlich in der ganzen gutka- tholischen Gegend niemand ans Ar- beiten dachte. Bei dem Gedränge das sich an jeder Station wiederholte, konnte man ganz ungeschlachte Ma- nieren kennen lernen, und wir müs- sen wünschen daß bei künftigen Bahnöffnungen diese Begünstigung wegfalle, welche bei aller Liberalität nur Veranlassung zu Unfug gibt. Übri- gens wünschen wir daß ein verhält- nismäßiger Zudrang der Ingolstädter Bahn auch nach der Betriebseröff- nung am 14. Nov. zu Theil werden möge. n 1 Aus Google: Allgemeine Zeitung München: 1867, 10-12, Seite 5084. Auch die Bekanntmachung zur Eröffnung der Bahn ist dieser Quelle entnommen. Dieser Artikel, erschien auch in ähnlicher Form in einer anderen Münchner Zeitung dem „Sammler“: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver. pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10532619-7 Seite 534 ff. 2 Fustanella, ital. = kurzer Männerrock der Albaner und Griechen. Zu den Eröffnungsfahrten der „Königlich Bayerischen Staatseisenbahn“ von München nach Ingolstadt war auch die damalige Presse eingeladen. Der uns heute unbekannte Berichterstatter beschränkte sich nicht nur auf die Eisen- bahnfahrt selbst, sondern beschrieb auch noch die Land- schaft, die Orte und die Menschen, denen er begegnete. 1
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy NjQwNDE4