Das Ankerzentrum in München und der Bund teilten den Verantwortlichen im Landratsamt meist nur ein paar Stunden vorher mit, dass und wie viele Menschen uns zugewiesen werden. Oft kamen dann aber keine oder weitaus weniger Personen als angemeldet und das häufig verspätet. Für alle Beteiligten war das eine große emotional wie auch körperlich belastende Herausforderung. Gerade wenn eine Zuweisung kurzfristig wieder zurückgenommen wurde, war das insbesondere für die Ehrenamtlichen, welche ja ihre Freizeit dafür opferten, eine große Zumutung. Und dennoch halfen sie jedes Mal wieder engagiert, wenn der nächste Einsatz kam. Private Gastgeber überwiegen Derzeit wohnen etwa 240 Geflüchtete in staatlichen Unterkünften, etwa 200 in selbstangemieteten Wohnungen. „Die Mehrheit, und damit gut 900 Menschen aus der Ukraine, wohnen bei Gastfamilien. Dank dieses privaten Engagements musste bisher niemand in einer Turnhalle untergebracht werden“, freut sich Martina Tschirge, Leiterin der Stabsstelle Ehrenamt, Bildung und Integration (EBI). Sie und ihre Mitarbeiter:innen kümmerten sich um die Vermittlung. Sie führten Gespräche mit Gastgeber:innen und Geflüchteten, um herauszufinden, wer zu wem am besten passen könnte. Fast zu jeder Tageszeit war das EBI-Team im Einsatz, die Anrufe bei den Gastgebern waren meist spontan. Martina Tschirge erinnert sich: „Auch wenn wir bei jedem Telefonat gesagt haben: ‚Sie können auch Nein sagen‘, ist es uns immer gelungen, alle unterzubringen. An einem Tag haben wir 2 Mal die Halle in Schönbrunn leer bekommen, in der die geflüchteten Familien ankamen. Das war ein wahnsinnig schönes Gefühl.“ Dafür sollte es zumindest eine kleine Unterstützung geben. Nachdem die Bayerische Staatsregierung den Kommunen „sehr viel Beinfreiheit gab“, wie es Landrat Stefan Löwl nennt, führte unser Landkreis als erster in Bayern für die Gastfamilien einen unbürokratischen, pauschalen Nebenkostenzuschuss von 65 € im Monat pro erwachsenem Flüchtling und 50 € im Monat pro Kind ein. Die aufnehmenden Familien geben zumeist weit mehr als nur ein Bett. Sie sind erste Anlaufstelle für sämtliche Themen des Alltags und in vielen Fällen auch emotionaler Halt. Darum betreuen Martina Tschirge und ihr Team die Familien nach ihrer Vermittlung weiter. Sie unterstützen auf der Suche nach dem richtigen Ansprechpartner für ein bestimmtes Thema und vermitteln Hilfsangebote. „Manche Gastgeber haben bei allem geholfen, können es dauerhaft aber zeitlich nicht leisten. Das müssen sie auch nicht, denn dafür haben wir imLandkreis kompetente Beratungsstellen für Migrantinnen und Migranten. Dorthin können sich die Geflüchteten aus der Ukraine mit wirklich allen Themen wenden“, erklärt die Integrationsbeauftragte Aferdita Pfeifer. Auch mentale Unterstützung ist öfters gefragt, denn wie nicht anders zu erwarten menschelt es beim Zusammenleben. Sollten die Geflüchteten, die vom EBI-Team vermittelt wurden, nicht weiter in den Gastfamilien wohnen können, suchen sie eine andere Unterkunft im Landkreis Dachau. Insgesamt läuft es bei den privaten Konstellationen, die von EBI vermittelt wurden, aber sehr gut, so wie bei Brigitte (75) und Ulf (79). Das Ehepaar meldete seine möblierte Einliegerwohnung dem Landratsamt und nahm am 9. April die Ukrainerinnen Lena (55) und Oxana (53) auf. Die Chemie stimmte von Anfang an. Mit Lenas Deutschkenntnissen aus der Schule und Google Translate haben sie ihre WG gut organisiert. Brigitte unterstützt bei allen Anträgen und Behördengängen, Lena hilft ihren Gastgebern ab und zu, sonntags kochen und essen alle vier gemeinsam. Während Oxana möglichst bald wieder zurück in die Ukraine zu ihrem Mann und den erwachsenen Söhnen möchte, sieht Lena ihre Zukunft mittelfristig in Deutschland und hat jetzt endlich einen Platz in einem Deutschkurs. „Ich freue mich schon, wenn wir uns dann noch besser unterhalten können, denn wir haben nach dem Rechtskreiswechsel einen Mietvertrag mit Lena und Oxana abgeschlossen und wollen sie gerne weiter unterstützen“, erklärt Brigitte. Viele Zeit-, Sach- und Geldspenden Neben Wohnraum spendeten die Bürgerinnen und Bürger des Landkreises so viel mehr: Sie schenkten Zeit und engagierten sich in den Blaulicht-Organisationen, Gemeinden, Helferkreisen, Privatinitiativen, Kirchengemeinden, Vereinen oder als Dolmetscher:innen. Auch an Sachspenden mangelt es nicht. Die Rotkreuz-Shops in Dachau, Karlsfeld und Markt Indersdorf sowie die Secondhandläden der Gemeinden Haimhausen und Hebertshausen/Ampermoching sind immer gut gefüllt. Geldspenden für die Geflüchteten werden bei Benefizkonzerten, Kuchenverkäufen, Spendenläufen und vielem mehr gesammelt. Und alle beteiligten sich: Schulen, Kindergärten, Vereine und Unternehmen. Die Summe der gesammelten Spenden ist beachtlich, allein bei dem Gewerbeverein „Dachau handelt“ gingen über 60.000 € an Spendengeldern für Gutscheine ein. So erhielt nicht nur jede neuangekommene Person 2 Mal 10 € Dachau-handelt-Gutscheine vom Landratsamt, sondern alle Schüler:innen noch einmal den gleichen Betrag zum Schulstart zusätzlich. Oksana Bonauer-Morel, eine Dachauerin mit ukrainischen Wurzeln, fasste beim Bürgerdialog „Ukraine“ im März das Engagement der Bürgerinnen und Bürger sehr gut zusammen: „Die Welle der Ankommenden ist riesig, aber die Welle der Hilfsbereitschaft ist noch viel größer.“ Kinder schnell in die Schulen integriert Kinder brauchen Kinder und auch in der Fremde eine gewisse Normalität und Alltagsstruktur. Daher nahmen die Schulen im Landkreis von Anfang an ukrainische Schüler:innen auf. Unter Leitung des Schulamts wurde bis zum 5. April ein einheitliches Schulkonzept erarbeitet und so wurden bereits 330 ukrainische Schüler:innen in den Schulalltag integriert. Nur eine Woche nach Anmeldung an einer Schule besuchen seitdem Grundschüler:innen die jeweilige Sprengelschule, bei den weiterführenden Schulen werden die Kinder je derzeit nach freien Kapazitäten aufgenommen. Zum neuen Schuljahr werden sie entsprechend ihren Fähigkeiten auf die Schularten verteilt. Für die Betreuung jüngerer Kinder wurden in vielen Gemeinden mit der Unterstützung der lokalen Akteure und Kirchengemeinden Spielgruppen oder Eltern-Kind-Gruppen eingerichtet. Auch in Kindertageseinrichtungen konnten kurzfristig ukrainische Kinder aufgenommen werden. Zu Beginn des neuen Betreuungsjahres, im September 2022, wird aber vermutlich nicht jedes ukrainische Kind einen Kita-Platz erhalten, deren Familien einen wünschen. Für die Aufnahme vieler neuer Kinder fehlen Erzieher:innen. Davon sind seit Längerem vor allem die Stadt Dachau und die Gemeinde Karlsfeld betroffen. Unterstützung für Oświęcim In der aktuellen Situation können wir auf unsere Erfahrungen aus der Flüchtlingskrise 2015/2016 zurückgreifen. Unser polnischer Partnerlandkreis Oświęcim (Auschwitz) hingegen stand in 2022 zum ersten Mal vor einer solchen Herausforderung. Sehr viele Menschen aus der Ukraine flüchteten in das Nachbarland und bleiben dort, um nach dem Krieg schnell wieder in die Heimat zurückkehren zu können. Neben Rat und Tat unterstützten wir mit einer Spendenaktion in Kooperation mit dem Verein Seebrücke Dachau. Diese brachte bisher 12.000 € ein, darunter zum Beispiel auch die meist deutlich aufgerundeten gespendeten Sitzungsgelder vieler Kreisrätinnen und Kreisräte. Damit werden im polnischen Partnerlandkreis nun die 1.700 Kriegsflüchtlinge versorgt und Integrationsmaßnahmen finanziert. Und Landrat Stefan Löwl machte sich gemeinsam mit der Partnerschaftsbeauftragten des Landkreises, Marese Hoffmann, Mitte Juni auch selbst ein Bild vom Engagement bei unseren polnischen Partnern in Oświęcim: „Mit deutlich weniger staatlicher Unterstützung leisten die polnischen Kommunen noch viel mehr als wir.“ So läuft es jetzt Da wir den Königsteiner Schlüssel deutlich übererfüllt haben, werden derzeit nur ukrainische Geflüchtete neu im Landkreis Dachau aufgenommen, die bereits einen festen Arbeitsplatz oder Verwandte 1. Grades (Kinder, Eltern) oder Geschwister im Landkreis haben. Sie müssen sich zuerst beim Landratsamt melden und erhalten für den ersten Monat weiterhin die Leistungen vom Landratsamt. Alle Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine ohne direkten Bezug in den Landkreis werden über das bundeseinheitliche System FREE einem anderen Bundesland zugewiesen. Die Bundesregierung hat zum 1. Juni einen Rechtskreiswechsel beschlossen. Seitdem ist ab dem 2. Monat für alle ukrainischen Geflüchteten, die jünger als 65 Jahre und 10 Monate sind, das Jobcenter primär zuständig. Die Übergangsfrist für den Wechsel läuft bis Ende August. Bis dahin können vom Landratsamt auch noch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ausbezahlt werden. Peter Schadl, der Leiter des Jobcenters Dachau, bittet, schnellstmöglich Arbeitslosengeld II zu beantragen. Alle Informationen zu dem erforderlichen Antrag und den Leistungen sind ausführlich zusammengestellt unter www.landratsamt-dachau.de/ukraine. Durch den Rechtskreiswechsel ist nicht mehr das Landratsamt für die Unterbringung verantwortlich, sondern die Geflüchteten. Das bedeutet, jeder muss nun selbst Wohnraum suchen, bekommt aber die Mietkosten vom Jobcenter erstattet. Wenn keine Wohnung gefunden werden kann, müssen sich die Ukrainer:innen an die jeweilige Gemeinde wenden. „Ziel von uns allen ist es, eine Obdachlosigkeit zu vermeiden“, sagt Landrat Stefan Löwl. „Daher erhalten Gastfamilien, welche Zimmer oder Wohnungen kostenlos zur Verfügung stellen, weiterhin die Nebenkostenpauschale von 65,00 € bzw. 50,00 €. Auch unterstützen wir als Landratsamt die Gemeinden mit unseren freien Kapazitäten. Diese sind meist aber nicht vor Ort und somit wird in vielen Fällen ein Ortswechsel unvermeidbar sein. Wenn wir weiter so zusammenhalten wie bisher, dann werden wir auch für dieses Problem gemeinsam Lösungen finden. Ein herzliches Vergelt’s Gott an alle, die sich hier engagieren und helfen.“ 7 6 Kreis.BLICK! — Juli 2022 Ukraine Spezial Fachliche Unterstützung für Geflüchtete Beratung und Informationen zu Behörden, Anträgen, Deutschlernen, Beruf, Arbeit, Schule, Gesundheit und Notsituationen Migrationsberatung für Erwachsene Caritas: (08131) 2981950, migrationdachau@caritasmuenchen.de Hilfe von Mensch zu Mensch: (0151) 74112099, mbe.dachau@hvmzm.de Jugendmigrationsberatung (12 bis 27 Jahre) Internationaler Bund: (08131) 2720037, Diana.Marcela.Schneider@ib.de
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