Kreis.BLICK!
Dachau – Oświęcim Warum hält eine Freundschaft länger als ein Vierteljahrhun- dert? „Es war die Chemie, die schon bei der ersten Begegnung gestimmt hat und die Gemein- samkeiten,“ so simpel erklärt der Maler und Zeichner Heiko Klohn die 30-jährige Freund- schaft zwischen Künstlern aus den Landkreisen Dachau und Oświęcim/Auschwitz. Die Chemie stimmte auch 2014 bei der ersten Begegnung von Landrat Stefan Löwl und Zbigniew Starzec, dem damals stellvertretenden Landrat Oświęcims. Sie lernten sich bei einer von den Künstlern aus Dachau und Oświęcim organisierten Kunstausstel- lung in Dachau kennen. Dieses Treffen führte im August 2015 dazu, dass die beiden Landräte eine Kooperationser- klärung unterzeichneten. So wurde aus Freundschaft eine Partnerschaft und wir feiern in diesem Jahr gleich zwei Ju- biläen: 30 Jahre Künstlerfreundschaft und 5 Jahre Landkreispartnerschaft. Dank der Europäischen Union kann heutzutage jeder von uns völlig prob- lemlos in Europa reisen oder mit Bür- gern eines anderen europäischen Lan- des ein Projekt umsetzen. Ganz anders war dies vor 31 Jahren. Es herrschte Kalter Krieg, Ost und West sollten auf allen Ebenen möglichst stark voneinan- der separiert sein. Dank der Beharrlich- keit und dem Herzblut von Menschen konnte 1989 dennoch ein Band ge- knüpft werden zwischen Dachau und Oświęcim/Auschwitz, den Orten, die weltweit als Synonyme für die schreck- lichsten Menschheitsverbrechen gelten. Barbara Distel, die von 1975 bis 2008 die KZ-Gedenkstätte Dachau leitete, und Jochen August, der damalige Stu- dienleiter der Internationalen Jugend- begegnungsstätte (IJBS) in Oświęcim, regten eine Kunstausstellung an. 16 Dachauer Künstler machten sich auf den Weg, um ihre Werke im Kultur- haus Oświęcims und in der IJBS aus- zustellen. In einem Land, das grau und trist war, mit leeren Regalen in den Lä- den, trafen sie polnische Künstler, die sich von der Situation in ihrer Heimat nicht die Hoffnung nehmen ließen und den Gästen offen begegneten. Paweł Warchoł war mit seiner Familie so- gar Gastgeber. Dabei begann die enge künstlerische und private Freundschaft zwischen ihmundHeiko Klohn aus Da- chau. Die Verständigung funktionierte, obwohl sie keine gemeinsame Sprache hatten. „Vielleicht ist es das Geheimnis der Kunst. Auf diesem Gebiet verwen- Aus Traum wird Wirklichkeit Der persönliche Kontakt war es auch, der schon nach der ersten Ausstellung auf kommunalpolitischer Ebene Ver- bindungen schaffte. Landrat Hansjörg Christmann reiste zur Eröffnung und vereinbarte mit dem Präsidenten der Stadt Oświęcim eine Schulpartner- schaft. Christmanns Hoffnung, dass sich „Bande knüpfen zwischen unseren Ländern, die sich auch auf andere Be- reiche des kulturellen und gesellschaft- lichen Lebens weiter ausdehnen mö- gen,“ ging 26 Jahre später in Erfüllung. Mit der Vereinbarung der Landkreis- partnerschaft am 8. August 2015 er- füllten sich sicher auch die Träume vie- ler Überlebender der KZs, allen voran Max Mannheimer, der bei der Unter- zeichnung Ehrengast war. Seitdem gab es viele Arbeitstreffen der Landräte, Kreisräte und Verwaltungs- mitarbeiter, um die Zusammenarbeit auf Gebieten wie Jungendaustausch, Bildung, Wirtschaft und Umwelt- schutz voranzubringen. Doch die Part- nerschaft soll mehr sein, als nur eine offizielle Verbindung zwischen zwei kommunalen Gebietskörperschaften. Sie soll eine Verbindung zwischen den Menschen schaffen, gewissermaßen mit Leben gefüllt werden: Menschen zu- sammenbringen, Vorurteile abbauen, Freundschaften und Verständnis füreinander för- dern. Dazu hat der Landkreis Dachau in 2017 und 2019 die Deutsch-Polnischen Kultur- tage organisiert und bezu- schusst Fahrten von Vereinen, Schulen und Gruppierungen in den Partnerlandkreis. Der Kreisjugendring Dachau nutzt dieses Angebot jähr- lich und bietet Jugendreisen nach Oświęcim an. Auf dem Programm stehen: den Land- kreis und polnische Jugend- liche kennen zu lernen und die KZ-Gedenkstätte zu be- suchen. Höhepunkt war das bis 2018 jährliche LIFE Festi- val in Oświęcim. Dort traten Musikgruppen aus der ganzen Welt auf gegen Diskriminie- rung, Rassismus und Antisemitismus und feierten mit tausenden Besuchern. Ab Beginn der Partnerschaft waren auch immer Dachauer Bands dabei. Das Resümee der Gruppe Kandinsky nach dem Auftritt 2017: „Das Life Fes- tival Oświęcim war wahrscheinlich die tollste Möglichkeit, die wir je bekom- men haben. Danke Oświęcim!” Damit so positive Erlebnisse noch viel mehr Bürger machen können, haben die Landkreise Partnerschaftsbeauf- tragte gewählt. In Oświęcim engagie- ren sich dafür seit 2019 Leszek Szus- ter, der Direktor der Internationalen Jugendbegegnungsstätte und Wojciech Kajdas, Kreisrat und stellvertretender Vorsitzender des Kreistagspräsidiums. Wenn aus Freundschaft mehr wird den wir eine universale Sprache,“ ver- sucht Warchoł die Anfänge zu erklären. Stärker als die Unterschiede wirkten die Gemeinsamkeiten: beide Künstler sind Zeichner, Warchoł wohnt auf dem ehe- maligen KZ-Gelände in Oświęcim und Klohn in der Nähe des ehemaligen KZ- Geländes in Dachau. Es folgten über 40 weitere gemeinsa- me Ausstellungen und Projekte mit mehr als 70 Künstlern aus Dachau und Oświęcim. Stets aktiv dabei: die IJSB. Waren die Ausstellungen in Oświęcim, so stellte die IJSB ihre Räume zur Ver- fügung und bot den deutschen Künst- lern Unterkunft. Waren die Ausstellun- gen in Dachau, so sorgte die IJSB für den Transport der Kunstwerke dort- hin. Für Heiko Klohn ist Leszek Szus- ter, der seit 24 Jahren als Direktor die IJBS leitet, darum auch der „Motor“ der Freundschaft. Mit viel Engagement und persönlicher Begeisterung baute er die Kunst zum zweiten Standbein der IJBS auf, ergänzend zur Erinne- rungskultur und politischen Bildung. „Auschwitz macht oft sprachlos, die Künstler haben aber Mittel gefunden, die auszudrücken, was hier geschah,“ erklärt Szuster seine Motivation. Neben der Kunst ist das Rezept der langjäh- rigen Freundschaft sicherlich auch der persönliche Kontakt. Hier gäbe es vie- le Anekdoten zu erzählen, vom Fahrer der IJBS, der bei Heiko Klohn schon seine eigenen Pantoffeln hat, bis hin zu den ausgelassenen gemeinsamen Feiern. Dazu verriet Heiko Klohn nur: „Wir haben die Hausordnung in der IJBS in jeder Hinsicht gebrochen“. In unserem Landkreis engagiert sich seit 2016 die Kreisrätin Marese Hoffmann. Alles Offizielle rund um die Partner- schaft und die Organisation von Termi- nen sowie Veranstaltungen übernimmt Bernadetta Czech-Sailer vom Büro des Landrats. Allen vieren gemeinsam ist, dass sie die jeweils andere Sprache sprechen und ihre Aufgaben mit viel Herzblut wahrnehmen. „Wenn ich vom neuen Kreistag wiedergewählt werde, möchte ich gerne einzelne Gemeinden und zum Beispiel Chöre für eine Verbin- dung mit Oświęcim gewinnen,“ erklärt Marese Hoffmann ihre Pläne. Landrat Stefan Löwl unterstützt dieses Vorhaben sehr: „Herzlich, bodenständig und gastfreundlich, so sind die Men- schen im Landkreis Dachau und so habe ich auch die Menschen in Oświęcim er- lebt. Ich wünsche mir, dass die Erfah- rung, die ich persönlich gemacht habe, auch viele andere aus den beiden Land- kreisen machen können. Denn jede Be- gegnung ist ein weiterer Mosaikstein, damit der Frieden in Europa auch in Zukunft bewahrt wird.” Ein Sinnbild dafür sind die beiden Gemälde „Peace Unites“, die in beiden Landkreisen an einer Schulwand von Schülern und Ju- gendlichen gemalt wurden. Sie haben aber nicht nur gemalt, sondern sich intensiv mit den Themen Frieden, Frei- heit, Toleranz und Zusammenleben be- schäftigt. „Mein absoluter Traum wäre es, dass wir so eine Wandmalerei mit der Friedensbotschaft auf jeder Schu- le im Landkreis hätten,“ wünscht sich Bernadetta Czech-Sailer. Und wer weiß, vielleicht wird ja auch dieser Traum wahr, wenn sich dafür Menschen mit Herzblut finden. Selbst nach 30 Jahren Freundschaft und 5 Jahren Landkreis- partnerschaft ist sich der Künstler Paweł Warchoł sicher: „Die wichtigsten Ereig- nisse liegen noch vor uns.“ Save the date: Konzert „Feiern mit Freunden“ Aus Oświęcim treten Weronika Boińska und Wiesław „Dziki” Kaniowski auf, aus Dachau Joe‘s Rytm und Blues Garage. Feiern Sie mit! Der Eintritt ist frei. Max Mannheimer Haus, Roßwachtstraße 15, 85221 Dachau Freitag, 24. April 19.00 – 21.30 Uhr 11 Kreis. BLICK ! — März 2020 10 Am 8. August 2015 unterzeichneten die Landräte Stefan Löwl und Zbigniew Starzec die Koope- rationsvereinbarung zwischen den Landkreisen Dachau und Oświęcim/Auschwitz. Familiäres Zusammensein schon beim ersten Besuch in Oświęcim 1989: Małgorzata Warchoł mit dem Sohn Grzegorz, Heiko Klohn, Paweł Warchoł, Bruno Schachtner und Dieter Navratil (v.l.n.r.) Die friedensstiftenden Wandmale- reien „Peace Unites“ in Oświęcim und Dachau sind die Symbole der Landkreispartnerschaft.
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